Das Ensemble 1993

STURM UND DRANG IM SCHEUSAAL

//1992 - 1997

Mit etwas Glück und viel Unterstützung wurde 1991 eine neue Heimat gefunden:
Das Jugendzentrum in Feucht - nicht wirklich ein Hort der hehren Kunst, aber ein technisch gut ausgestatteter, großer Raum zum Proben und Aufführen - der "Scheusaal" - und ein uns wohlgesonnenes Haus, das uns auf unbestimmte Zeit offen stand.
Und endlich wollte auch wieder jemand die Regisseur-Mütze aufsetzen. Reinhard Weirauch, Theater4-ler der ersten Stunde befreite die Gruppe aus der künstlerischen Zwangsdemokratie.

Mit weitgehend konstantem Ensemble und befreit von Sorgen um Raum, Regie und Regeln konnten wir im Laufe der nächsten sechs Jahre im Feuchter "Scheusaal" sieben Premieren feiern.  Unser Publikum blieb uns 100%ig treu und eine Produktion finanzierte die nächste.

Wir ließen unserer Theaterwut freien Lauf und probierten alles, was uns in die Quere kam: Wir liebten absurdes Theater, entwickelten ein Stück selbst, dramatisierten ein Hörspiel, gaben Gastspiele, organisierten ein Kulturfest und hatten Spaß an allem, was bei drei nicht auf dem Baum war. 
Wir experimentierten gierig und entwickelten unseren Stil. Nicht nur den, der auf der Bühne zu sehen ist, sondern auch das Fundament, auf dem Theater4 steht, nämlich die Art unserer Zusammenarbeit und den Umgang miteinander.

Bis heute prägende Jahre ...

1992  //  Die Ballade vom großen Makabren von Michel de Ghelderode

Die existentielle Thematik der vergangenen Stücke hatte ihre Faszination noch nicht eingebüßt.
Und so wurde noch mal tief in die überzeitliche Gruselkiste gegriffen. Der Sensenmann ritt durchs Breughelland. Dem großen technischen Apparat fiel allerdings auch der eine oder andere Vorhang zum Opfer, der eine oder andere Schauspieler von der Bühne und überschäumende Spielfreude führte zu mancher großen und kleinen Panne. In die Theater4-Annalen ging die Ballade als ein Höhepunkt in freiwilliger und unfreiwilliger Akrobatik ein - das Publikum dankte dennoch mit Applaus.

Denn wir hatten trotzdem einen großen Schritt zum eigenen Stil getan, hatten das Stück dramaturgisch bearbeitet, waren nicht voll Ehrfurcht vor dem Autor erstarrt und hatten die Ballade zu unserer Ballade gemacht, unsere Geschichte erzählt und mit Punkrock von Nina Hagen garniert.

1993  //  Der Tiger Jussuf von Günter Eich

Ein Theater4-Glanzjahr - die Dramatisierung von Günter Eichs Hörspiel gehört zweifellos zu den wichtigsten aller unserer Inszenierungen. Ein großer Schritt in Richtung Professionalität bei Regie und Ensemble und der neu gefasste Mut zur Abstraktion sind sicher ein Grund dafür, dass uns diese Produktion als besonders gelungen im Gedächtnis geblieben ist.

Es musste nicht mehr die ganz große Geste sein. Eine komplexe Suche nach Identitäten löste den barocken Tod-oder-Leben-Pathos früherer Stücke ab.

Theater4 war nicht mehr zu stoppen.

1993  //  Mercedes von Thomas Brasch & 
Bruchstücke I von Samuel Beckett

Im gleichen Jahr noch wurde mit den beiden Einaktern wieder eine Entwicklungsstufe genommen. Eindringlich-eindrucksvolles Spiel, auf das Wesentliche abstrahierte Geschichten und Bühnenbilder kennzeichneten diese two-in-one-Produktion, mit der wir uns - nicht zuletzt dank der stark reduzierten Bauten - aus dem Dunstkreis unseres geliebten Stammpublikums wagen konnten. Gastspiele in Bamberg, in der Nürnberger Desi und in Würzburg punkteten auf dem Erfahrungs- und Erfolgskonto.

1994  //  Lämmermann von Ludwig Fels

Es folgten zwei weitere relativ ernste Inszenierungen rund um die Nöte des modernen Menschen.

Beim Lämmermann flogen erstmals Stofftiere auf die Theater4-Bühne (natürlich ausschließlich Lämmer, unser Publikum wusste schon immer, was es sich schuldig ist). Das Stück aber war selbst intern nicht unumstritten und die Produktion ein echter Kraftakt.

1995  //  Rabenspiele von Herbert Meier

Kurz und knapp:

Wir entdeckten wir die unerträgliche Dekadenz des Seins.

1996  //  Die kahle Sängerin von Eugene Ionesco

Wir entdeckten das absurde Theater und unser komödiantisches Talent. Das Ergebnis wurde zum Theater4-Klassiker und zum am häufigsten intern zitierte, am heißesten geliebte Produktion: Zwei hoffnungslos aneinander vorbeiredende englische Ehepaare umzingelt vom Wahnsinn der Absurdität in einem Stück voller Tempo, Komik und Sprachwitz.
Nach den regulären fünf Aufführungen im Feuchter JUZ, durfte auch das Publikum des Bamberger Lichtspielhauses über uns lachen. Und weil's so schön war gaben wir mit der Kahlen Sängerin ein Jahr später im Nürnberger K4 unseren Einstand.

1996 war aber nicht nur das Jahr der fulminanten Kahlen Sängerin, sondern auch das Jahr, in dem das Theater4 einen Ausflug in die Welt der Kulturveranstalter machte:

Gemeinsam mit dem Altdorfer Auershäusle wurde das Theater-, Musik- und Kunstfest Drinnen und Draußen organisiert.

1996  //  d'amour, der chair, the bauch nach Ernst Jandl

Das Theater4 war mit der Collage aus Hörspielen, Szenen und szenisch inszenierten Gedichten auch auf der Künstlerseite vertreten.

Was hatten wir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gemacht? Richtig: Stücke selbst geschrieben. Keine Angst, das sollte auch weiterhin so bleiben, aber was tun, wenn sich nicht ein Stück findet, dass mit uns durch dick und dünn gehen will, sondern zwei?

Die Dramatisierung von Hörspielen und Prosa ist eine Sache, eine lose Collage aus Lyrik und Szenen eines Autors eine andere. Gegen das Verschmelzen von Herbert Achterbuschs „An der Donau" und Günter Eichs Maulwürfen ist beides ein Spaziergang. Denn ein Stück aus zwei Stücken und der eigenen Interpretation zu machen ohne Stückwerk zu produzieren ist ein Wagnis, das ohne die dicke Zugabe kreativer Eigenleistung nicht gelingen kann und mit ihr letzten Endes doch gelungen ist:

1997  //  Die Krankheit des Zweifelns

So tauften wir unser bislang gewagtestes Projekt. Mit meterhohen Bühnenbauten, exakt choreographierten Mikroszenen und aufwendiger Licht- und Tonregie verabschiedeten wir uns mit dieser Produktion endgültig aus dem etwas eng gewordenen Feuchter JUZ und zogen in die große Stadt.


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