DIE KAHLE SÄNGERIN
//von Eugene Ionesco
//25. - 28. April 1996
"Das Publikum, das sich im Absurden befriedigt, müsste einen Diktator entzücken: es will keine Aufklärung von Ursachen, sondern genießen was es ängstigt, Urlaub in apokalyptischer Gartenlaube."
Auf diese etwas polemische Weise äußerste sich der Dramatiker Max Frisch zu einem Streitpunkt, der die deutsche Literatur- und vor allem Theatergeschichte seit Kants Diktum von der "Interesselosigkeit der Kunst" durchzieht - die Frage nach der öffentlichen, politischen und sozialen Verantwortung des Theaters. Ist Politik ein angemessenes Thema für eine künstlerische Auseinandersetzung, kann sie es sein oder ist es sogar die Pflicht des Künstlers und Intellektuellen seine gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und konkret-politische Probleme aufzuwerfen, sowie mögliche Lösungen aus der einen oder anderen Misere anzubieten?
Auch die größten Köpfe unserer Literaturgeschichte konnten sich nicht einigen. Schiller und Lessing sprachen von der Einheit von Ethik und Ästhetik, der Geheime Rat und persönliche Freund des Herzogs Karl-August Johann Wolfgang von Goethe warnte die Dichter seiner Zeit vor der Politik. Sie sei kein passender Gegenstand der Poesie, weil sie ihrem Wesen nach zweckbezogen und parteiisch sei und den unbefangenen Blick des Künstlers gefährde - Theater als moralisch-politische Lehranstalt versus Autonomie des Guten, Edlen und Schönen. Doch auch der Verfechter einer tendenz- und zweckfreien - eben reinen - Kunst konnte nicht, wie Thomas Mann bemerkt, "das Unlösliche lösen und die Verbindung aufheben, die zwischen Kunst und Politik, Geist und Politik unweigerlich besteht. Hier wirkt einfach die Totalität des Menschlichen, die sich auf keine Weise verleugnen lässt." - eine Beobachtung, die sicherlich sehr wahr ist, den teilweisen hitzigen Diskussionen aber keinen Abbruch tat.
Gottfried Benn bemerkte noch, er halte sich für Bessern in keiner Weise zuständig, womit er die Erziehung und Aufklärung seines Publikums meinte, ehe nach und durch den Zweiten Weltkrieg eine große Epoche des politischen Theaters anbrach.
Brecht entwarf in seinen Dramen die neue Weltordnung, die Gruppe 47 bemühte sich engagiert um Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte, junge Dramatiker wie Kroetz und Fassbinder kritisierten in den studentenbewegten 70ern soziale Misstände, im neuen demokratischen System versteckten Faschismus, Ungerechtigkeiten aller Art und provozierten so einen der größten Literaturskandale überhaupt.
Da soll noch mal einer sagen, Kunst bleibe ohne politische Wirkungen und der Künstler könne sich in seinem Elfenbeinturm in aller Ruhe mit den tieferen Dingen des Lebens beschäftigen!
Ionesco konnte, was ihm den Vorwurf einbrachte, reaktionär, resigniert und gesellschaftsstützend tätig zu sein. In einer Kontroverse mit einem Londoner Theaterkritiker entgegnete er:
"Die Grundsituation des Menschen ist nicht seine Situation als Sterblicher. (...) Was aus meinem Innersten entspringt, meine tiefe Angst, das ist das Allgemeingültigste. (...) Das engagement entfremdet, amputiert den Menschen (...). Das Menschliche steht über dem Sozialen und nicht umgekehrt."
Konsequent durchdacht und formuliert heißt das:
Das absurde Theater ist eine "Parabel über die Fremdheit des Menschen in der Welt" (Wolfgang Hildesheimer).
Dürfen wir es nun? Dürfen wir ein Drama auf die Bühne bringen, das politisches Engagement ablehnt, dessen Allgemeingültigkeit aber doch ab und an in der Farce untergeht oder für einen guten Witz geopfert wird? Darf man als Schauspieler und Regisseur überhaupt befreiendes Gelächter des Publikums zulassen, angesichts der "tiefen Angst" des Autors?
Hier Goethe, dort Schiller, hier Benn und da brecht und mittendrin das Theater4, das es mit Robert Gernhardt hält, pfeifend durch die große Literatur stapft und sich so Mut macht.
Wir wünschen Ihnen soviel Spaß, wie wir selbst hatten und vielleicht doch eine klitzekleine Erkenntnis hier und da.