BLUT IST DICKER WIE WASSER
//Über die Familie
Familie wird von der Diözese Würzburg folgendermaßen definiert: "Familie ist eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft der Liebe und Solidarität. Sie ist der erste Ort, an dem der Mensch Liebe, Vertrauen, Geborgenheit und selbstlose Sorge umeinander erfahren und lernen kann. Sie verbindet Generationen." Hübsch.
Und doch eher gewünschtes Ideal als Realität. Sicher, Familie verbindet Generationen. Ob immer im Guten, ist wiederum eine andere Frage. Familie kann und soll Geborgenheit, Liebe und Vertrauen bieten. Innerhalb
der Familie kann und soll man selbstlos füreinander da sein.
Blut sei dicker als Wasser, sagt der Volksmund. Das schließt aber augenscheinlich nicht aus, dass die Familie auch Ort großer und kleiner Dramen ist – eine Gruppe von Menschen, in der Lügen, Ausgrenzungen, Neid, Hass und, ja, auch Verbrechen ebenso ihren Platz finden können wie die netten Eigenschaften, die von der Diözese Würzburg auf ihrer Homepage beschrieben werden.
Bei den Hufnagels steht am Anfang eine Lüge. Unter großem äußerem Druck wird sie in den Wirren von Flucht und Vertreibung, von Hoffnungen und Ängsten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Familie, um die sich Nußbaumeders Drama dreht, getragen.
Abgelegen wohnen sie in Eisenstein im Bayerischen Wald und in dieser Zeit doch inmitten des weltpolitischen Geschehens. An der böhmischen Grenze begegnen sich ehemalige KZ-Häftlinge, Flüchtlinge und Alt-Nazis. Bald wird der Eiserne Vorhang errichtet und trennt frühere Nachbarn. Die Hufnagels sind Teil dieser Geschichte, wollen sie mitgestalten, werden von ihr eingeholt, sind Gestalter und Getriebene – und die Lüge des Anfangs keimt fröhlich vor sich hin, verselbstständigt sich und kann kaum mehr eingefangen werden. Krieg, Vertreibung, Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und Ernüchterung werden dabei zur Projektionsfläche von Missgunst, Karrierestreben, Liebe und Einsamkeit.
Und die Familie, die zwar auch Zusammenhalt, Stärke und Liebe bieten kann, wird zu einem Käfig voller Lügen, selbstsüchtigem Verfolgen eigener Interessen, Eifersucht und Verlust.
Die Diözese Würzburg hätte mit dieser Familie jedenfalls ihre liebe Not gehabt. Vielleicht sollte man sich daher bei Definitionsversuchen besser an den Duden halten: Familie, so steht es hier neutral und ohne jeglichen Wunschtraum, ist eine "Gruppe aller miteinander [bluts]verwandten Personen". Punkt.