DAS CHAOS DER SCHÖPFUNG
//Unsichtbare Zusammenhänge
An dramatischen Konzepten, Motiven und Ideen mangelt es der "arabischen Nacht" wahrlich nicht. In der Tat hat sie so viele Ansätze zu bieten, dass es unmöglich wird, sie zu entflechten, zu entwirren und so zu sortieren, dass sie sich zu einer eindeutigen Geschichte oder Botschaft konzentrieren ließe. Ein Hörspieltext, überreichlich Motive aus dem Orient, Sozialkritik lässt sich entdecken, auch manch Absurdes. Und weder von dem einen, noch von dem anderen wird dieses Stück bestimmt, nichts davon macht die ganze Wahrheit dieses Dramas aus.
Denn das eigentliche Thema ist nicht weniger als die Schöpfung selbst. Es handelt davon, dass die Zusammenhänge zu groß, zu kompliziert und zu vielschichtig sind, als dass sie sich der Figur erschließen könnten, nicht einmal wahrnehmbar sind viele Zusammenhänge. Und davon, dass die Welt so beschaffen ist, dass sie dem Zuschauer nicht schlüssig vorgeführt werden kann. Kaum glaubt man in diesem Stück, wie im richtigen Leben, etwas verstanden zu haben, wird die Regel, die man aus der Berechnung einer gewissen Wahrscheinlichkeit heraus entwickelt hat, widerlegt.
Und dennoch ist alles wunderbar in einer einzigen Schöpfung erfahrbar. Alles korrespondiert miteinander, alles hängt irgendwie mit dem anderen zusammen. Nennen Sie es Glauben, nennen Sie es Magie, irgendetwas verleiht dieser chaotischen Schöpfung doch einen Sinn, den wir nicht verstehen. Und die arabische Nacht macht das sichtbar.
Franziska wurde verflucht. Sie schläft bei Sonnenuntergang ein, vergisst alles, wird den Mond nie wieder sehen und jeder, der sie küsst, ist dem Untergang geweiht. Ein Märchen, das einfach auf modernen Boden gesetzt wird. Denn Franziska wurde als kleines Mädchen bei einem Türkeiurlaub entführt und wuchs in einem Harem auf. Hier ereilte sie auch jener furchtbare Fluch, der sie nun - gemeinsam mit einer arabischen (!) Mitbewohnerin - als medizinisch-technische Angestellte in jenes Hochhaus verbannte. Drei Männer küssen sie in einer Nacht und zwei sind - wie der Fluch es prophezeite - dem Untergang geweiht, einer der Erlöser dieses arabischen Dornröschens.
Oder ist alles ganz anders? Ist diese Geschichte nur das Ergebnis der Träume einer unbefriedigten jungen Großstädterin, die sich etwas mehr Romantik, etwas mehr Schicksal in ihr Leben träumt? Und das Schicksal der drei Männer ebenso schlicht Bild gewordene Psychologie? Muss Karpati nicht in einer Flasche enden, ist die Flasche nicht Symbol eines unzufriedenen Lebens als kleiner Spanner, der sich die Welt schön trinkt. Und Lohmeiers Kampf in der Wüste nicht die Aufarbeitung einer gänzlich misslungenen Ehe? Und ist Kalils Eruption männlicher Begattungsgelüste nicht die Reaktion eines unterdrückten Triebes? So einfach ist die Welt eben nicht. Nicht mal ein einziger ihrer kleinen unbedeutenden Bewohner ist so einfach, oder auch nur ansatzweise erklärbar. In ihnen allen steckt ein Teil jener Magie, Bedeutung und Seele, die die Schöpfung ausmacht.
Etwas Unerklärliches ist im Gange an diesem besonderen und besonders heißen Sommerabend. Wasser rauscht, jeder kann es hören. Das stete Hintergrundrauschen, das von etwas Größerem zeugt. Es geschieht auch Unerklärliches rund um dieses Sofa, auf dem eine verwunschene Prinzessin schläft und Wahrheiten aus einer anderen Dimension träumt oder wiedererlebt, die sich dann in der Wirklichkeit niederschlagen. Ein weiteres Zeugnis eines größeren Prinzips. Fast stumm, die Handlungen der fünf Protagonisten, nur selten begegnen sie einander, nur wenige Worte tauschen sie aus. Der Zuschauer aber hört ihre Gedanken und Wahrnehmungen. Seltsam erhaben in ihrer Banalität, der große innere Monolog fehlt völlig. All das verwebt sich zu einem Gesamtbild.
Zwei Liebende, sie ausgeschlossen, er eingeschlossen, gleichzeitig befreit. Zufall? Der Ruf nach einem Mitmenschen: "Hallo" gleichzeitig, an ganz verschiedenen Orten in verschiedenen Situationen. Zufall? Ein Treppenhaus, das den Figuren zum Labyrinth gerät, nacheinander, miteinander, trotz der klaren Ordnung nach Stockwerken und Wohneinheiten. Zufall? Sollte ein höherer Plan dahinter stehen, dann stellt sich die Frage nach dem Warum und Wozu. Fünf Schicksale, die sich gegenseitig beeinflussen, ohne voneinander zu wissen. Handlungen, für die niemand Verantwortung übernehmen kann und die dennoch zu Tod und Verderben führen. Das Chaos der Schöpfung, selbst wohlsortiert überfordert es den menschlichen Verstand, der aus der arabischen Nacht keine Konsequenzen wird ziehen können, der sich wird fügen müssen in sein Schicksal.
Inshalla - so Gott will.