DER ZWEIFLER

"Statt einem festen Standort einen beliebigen zu wählen, ist der Anfang des Verderbens" .

Jedes problemlösende Denken setzt eine Prämisse voraus, einen festen Standort, anders gesprochen, einen festen Standpunkt.
Der Christ kann nur unter der Annahme, dass seine Lehre richtig ist, den Rat geben: Liebt einander, brecht nicht die Ehe, seit gottesfürchtig. Gepredigte Gottesfurcht ist eines der Instrumente, die den Menschen in Unfreiheit halten, kontert der Marxist. Freiheit jedoch ist ein dreckiges Wort mit vier Buchstaben: Geld.
Geld aber entfremdet den Menschen. Er entfernt sich seiner Natur. Und in der Natur zeigt sich das Wahre, Ewige, dem er sich durch Kontemplation wieder abnähern kann. Es braucht allerdings schon etwas mehr als "einen dunklen Baum, durch den ein Wind geht", um dem Menschen einen Seufzer zu entlocken.
Und überhaupt: Was ist das für eine Natur, in der die Gottesanbeterin das Männchen während der Begattung auffrisst? Pfui Teufel!

Nichts scheint Gültigkeit zu besitzen, kein Gott, kein System, keine Natur, nicht gibt dem Zweifler eine befriedigende Antwort auf seine Fragen. Alles wird beliebig und die Frage nach dem Standort einer Schreibtischlampe zum tragischen Konflikt, zum Anfang des Verderbens.
Polemik? Sicherlich!

Aber Konstruktives hat der Zweifler nun mal nicht anzubieten. Er hat auf unerträgliche Weise recht und bezahlt dafür mit Einsamkeit unter all den festen Standpunkten. Bestenfalls kann er sich äußerlich in ein Einersystem retten:
Immer ja! Ja, ja, jawoll!, ja.
Mit größerer Wahrscheinlichkeit jedoch wird ihm die Narrenkappe aufgesetzt. Sein Blick ist einsam, aber nicht traurig. Sein Blick ist unverstellt.

"Mit Eselsohren weiß man, was in der Welt vor sich geht. (...) Das schönohrige Gewimmel schaut schräg an mir vorbei."

Ein weiterer Aspekt des festen Standpunkts darf nicht verschwiegen werden:
Er konstruiert eine Harmonie, die daraus besteht, dass er alles weglässt, was stören könnte. Mit anderen Worten, er ist nie ganz richtig, immer Modell, deshalb immer fragwürdig und anzweifelbar: Den Inhaber eines festen Standpunktes, wie durchdacht jener auch sein mag, drängt der Zweifler in die Defensive. Er rüttelt an dem schönen Bild, zieht es gar durch den Dreck und macht aus einem Wissenden einen Unwissenden.

Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Und so muss er sanktioniert werden, muss ihm der feste Standpunkt eben beigebracht werden oder es droht der Ausschluss aus der Gemeinschaft der festen Standpunkte.

"ja - wenn man Messer und Stricke genug hat, ist alles in Harmonie."