EINFACH MENSCHLICH VOR DEM ZUSAMMENSTOSS
//Der Weltuntergang findet im Fernsehen statt
1910:
Der Halleysche Komet rast auf die Erde zu. Astronomen haben herausgefunden, dass der Schweif des Kometen unter anderem aus hochgiftigem Zyankali besteht. Und wenn der Komet die Erde schon nicht trifft, so muss doch die Erde durch den Schweif und damit durch die Wolke aus tödlichem Gift. Untergangsstimmung herrscht. In Chicago verstopfen die Menschen Fenster und Türen mit Lappen. In Konstantinopel stehen 100.000 Menschen in Nachtgewändern auf den Dächern. Papst Pius XII. fühlt sich gar genötigt, das Hamstern von Sauerstoffflaschen zu verurteilen. Geschäftemacher riechen ihre große Chance. Wer möchte jetzt nicht ein paar Flaschen mit guter Atemluft zu Hause haben? Wer will jetzt das Risiko eingehen, im Notfall nicht auf die Kometenpille zurückgreifen zu können?
Anderen bleibt angesichts so viel Irrationalität und Wahn nur noch die Satire. Der Kölner Club „Flora" lädt – wie es die „Rheinische Volksstimme" überliefert – zum Kometenfest ein. Das Programm gestaltet sich wie folgt:
„1. Teil: Henkersmahlzeit an reservierten Tischen; letztes Konzert des Flora-Orchesters vor dem Weltuntergang, Fackelpolonaise durch den Park zur Betrachtung des herannahenden Kometen. Ball und Abschiedstrunk. Punkt 24 Uhr: Großer Krach! Zusammenstoß der Erde mit dem Kometen. Weltuntergang unter Palmenhainen.
2. Teil (gelangt nur zur Aufführung, falls der Krach gut überstanden) Gemeinschaftliches Lied: „Et hätt noch immer jot jejange." Fortsetzung des Balles. Wiedereröffnungsfeier in allen noch stehengebliebenen Sälen und Palmenhäusern der Flora."
1927:
Der Grüne Globus rast auf die Erde zu. Ein Astronom hat herausgefunden, dass der Komet, wenn nicht auf dem Potsdamer Platz, so doch auf dem Tempelhofer Feld landen wird. Die Erde wird verglühen – voraussichtlich. Untergangsstimmung herrscht. Aber nicht so richtig.
Taa und Noll sind zwar verzweifelt, Rommel voll Sorge um seine Mutter und der Mob in Teilen aggressiv. Im Radio läuft „Onkel Heini" - der Hit zum Weltuntergang. Der Kellner lässt sich nicht betrügen. Die Schickeria freut sich über Abwechslung. Und die Arbeitslosen sehen ein Licht am Ende der Schlange. Die Mode zum Untergang lässt ebenfalls nicht auf sich warten. Shuttle-Busse bringen das Publikum direkt zum Ort des Einschlags. Und die gesellschaftliche Ordnung? Wird sie dem drohenden Chaos standhalten können? Ein Glück, dass es einen starken Mann gibt in dieser schlimmen Situation: Meisterlich - der ist Beamter und regelt den Untergang. Deutsch untergehen, heißt geordnet untergehen.
2011:
Katastrophen allerorten. Geräuschlos. Geruchlos. Meist im TV. Selten vor der Tür.
Wie reagieren wir?