DAS BEDÜRFNIS NACH FREUNDSCHAFT
//Die unheimlichen Gefühle
Vordergründig schrieb der amerikanische Autor und Journalist Richard Dresser ein Theaterstück über die allseits bekannten Grabenkämpfe rund um die Hierarchie innerhalb einer x-beliebigen Abteilung einer x-beliebigen Firma. Mit den Mitteln der Komik zeichnet er das düstere Bild einer Welt, in der Menschen im hoffnungslosen Kampf miteinander liegen und doch nur Marionetten höherer Mächte sind. Dabei zündet er ein wahres Feuerwerk an scharfzüngigen Dialogen und aberwitzigen Situationen, die besonders dann an Komik kaum zu überbieten sind, wenn Dobbitt immer wieder aufs Neue die Worte im Mund herumgedreht werden und er sich geradezu seiltänzerisch aus der Affäre zu ziehen versucht.
Bei näherer Betrachtung beinhaltet Unter der Gürtellinie jedoch viel mehr als die altbekannte Geschichte vom steten Gedränge an den Futtertrögen unserer Gesellschaft. Denn ganz gleich, ob es sich nun um eine ebenso fiktive wie ferne Zukunft handelt, ob viele Details der undurchdringlichen Welt eines Franz Kafkas zu entspringen scheinen oder so manch einer sich an die allzu gegenwärtige Realität unserer Arbeitswelt erinnert fühlt. Dressers Theaterstück allein auf das Thema Mobbing zu beschränken, hieße, den Aspekt der Leugnung menschlicher Sehnsüchte im Kampf um die eigene gesellschaftliche Stellung zu übersehen. Es geht um das natürliche Bedürfnis der Menschen nach Freundschaft und Verständnis. Und um eine Welt, die solche Gefühlsregungen immer mehr zur Schwäche geraten lässt.
Dressers Produktionsinspektoren sind Menschen, deren gesamter Lebensinhalt in der Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten und in der Sicherung ihrer Arbeitsstelle besteht. Ihr Privatleben liegt in einer verblassenden, beinahe glorifizierten Vergangenheit, die sich nur noch in den sporadisch eintreffenden Briefen der Ehepartner widerspiegelt.
Was aber bleibt einem Menschen, der sich auf seine Rolle als kleines Rädchen in einem großen Getriebe reduzieren ließ, anderes übrig, als um eben jene Stellung in der Hierarchie zu kämpfen? Ist sie doch der klägliche Rest seiner Identität. Die Menschen auf dem Fabrikgelände sind schon längst keine Mitarbeiter mehr im eigentlichen Sinne. Sie sind Gefangene, deren Aufgabe darin besteht, auf der ihnen zugewiesenen Position fehlerlos zu funktionieren. Gefühle zu zeigen oder gar Schwächen zu offenbaren macht angreifbar. Egal ob es sich dabei um mangelhafte Tanzkünste oder Schwierigkeiten beim Kopfrechnen dreht. Alles kann gegen einen verwendet werden.
Doch letztlich fürchten selbst die Zahnräder jener entmenschlichten Maschinerie nichts so sehr wie die Einsamkeit. Die Sucht nach Anerkennung im Beruf hat den Wunsch nach Nähe zwar unterdrückt, aber nicht ausgelöscht. Wenn also der Fluss, der durch das Fabrikgelände fließt - je nach Produktionstag - in den verschiedensten Farben erstrahlt und immer mehr Augenpaare unbekannter Tiere in der Nacht aufleuchten, so sind dies vor allem Metaphern für die menschliche Natur. Eine Natur, die vergewaltigt und verdrängt wird, sich aber nicht auf Dauer aussperren lässt.
"Die Wahrheit ist ein kaltes Händchen aus heiterem Himmel, das dein Licht für immer löscht."
Dass jene Gefühle den Produktionsinspektoren unheimlich sein müssen, liegt fast schon auf der Hand. Denn das Eingeständnis, mehr im Leben zu benötigen als den gesicherten Arbeitsplatz, die wohldefinierte Stellung in der Gesellschaft, hieße Sand in jenes Getriebe zu streuen, an das man vor langer Zeit den Sinn seiner Existenz geknüpft hat.
Unter der Gürtellinie ist weit davon entfernt, seinen Protagonisten eine grundsätzliche Opferrolle zuzugestehen. Hanrahan und Merkin sind keine Marionetten. Sie mögen es zwar vorgeben, doch Dobbitts unvermutete Zivilcourage belehrt uns eines Besseren. Auch er droht angesichts der Mechanismen einer unbarmherzigen Arbeitswelt umzukippen, auch er droht sich die Regeln des Machtspiels anzueignen. Allerdings kämpft er im Gegensatz zu den Anderen dagegen an. Und selbst der Zyniker Hanrahan beginnt sich im Laufe der Geschichte zu öffnen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird die Mär von den machtlosen Spielbällen einer perfiden, allein auf Produktivität abzielenden Gesellschaft widerlegt. Dem Menschen bleibt das Recht auf das Ausleben seiner Gefühle, die Freiheit seinen Platz in der Welt auf seine Weise auszufüllen. Zumindest scheint es so.
Denn ob Dobbitt auf Dauer erfolgreich sein wird, wissen wir nicht. Ob es Hanrahan gelingt, seinen Argwohn endgültig zu überwinden, wissen wir nicht. Ob Merkin ihre manipulativen Machtspielchen aufgibt, wissen wir nicht. Und wenn am Ende der Geschichte wenigstens einer der drei Inspektoren das Gelände für immer verlassen darf, bleibt offen, ob er seine wiedergewonnene Freiheit wirklich nutzen wird. Wir können es nur hoffen.
Allein um unsertwillen.